Verordnung
über das Jugendstrafverfahren
(vom 29.Dezember 1976) FN1

Der Regierungsrat beschliesst:

I. Teil: Organisation

I. Zuständige Direktion

§ 1. Die Jugendstaatsanwaltschaft und die Jugendanwaltschaften sind der Erziehungsdirektion (nachstehend als «Direktion» bezeichnet) unterstellt.

II. Jugendstaatsanwaltschaft

§ 2. Die Jugendstaatsanwaltschaft wird als Abteilung des Jugendamtes vom Jugendstaatsanwalt geleitet.

Ordentliche Stellvertreter des Jugendstaatsanwaltes sind der Chef und der Adjunkt des Jugendamtes.

Die Direktion kann für einzelne Aufgaben aus dem Kreis der Jugendanwälte ausserordentliche Stellvertreter ernennen.

§ 3. Der Jugendstaatsanwalt erstattet der Direktion zuhanden des Regierungsrates alljährlich Bericht über die Geschäftsführung der Jugendstaatsanwaltschaft und der Jugendanwaltschaften.

Er orientiert die Direktion von sich aus über wichtigere Ereignisse und grundsätzliche Entscheide auf dem Gebiet der Jugendstrafrechtspflege sowie über Strafverfahren von besonderem öffentlichem Interesse.

§ 4. Der Jugendstaatsanwalt beaufsichtigt die Jugendanwaltschaften und erlässt die nötigen Weisungen an die Jugendanwälte.

Er trifft geeignete Massnahmen für eine sorgfältige und beförderliche Erledigung der Verfahren, entscheidet über Ausstandsbegehren und Aufsichtsbeschwerden und bewilligt Untersuchungs- und Strafvollzugsbehörden anderer Kantone Amtshandlungen auf dem Gebiet des Kantons Zürich, soweit sie sich gegen Kinder und Jugendliche richten.

§ 5. Die Jugendstaatsanwaltschaft fördert das Fachwissen der Jugendanwälte und der auf Jugendanwaltschaften tätigen Sozialarbeiter im Rahmen der für das Personal der kantonalen Verwaltung geltenden Regelungen durch:

a) Veranstaltung von Weiterbildungstagungen oder -kursen, deren Besuch sie für alle oder einzelne Funktionäre obligatorisch erklären kann;

b) Verpflichtung einzelner oder aller Funktionäre zum Besuch bestimmter Vorlesungen oder Veranstaltungen der Universität Zürich oder des Kriminalistischen Instituts des Kantons Zürich;

c) vorübergehende Abordnung einzelner Jugendanwälte zur Polizei;

d) Behandlung der Gesuche um Beurlaubung und um Gewährung von Beiträgen für den Besuch von Studienkursen und Tagungen der Fachverbände.

Die den Jugendanwälten und Sozialarbeitern gemäss lit. a bis c entstehenden Auslagen sind ihnen nach den einschlägigen Vorschriften zu ersetzen.

III. Die Jugendanwaltschaften

1. Die Jugendanwälte

§ 6. Der Regierungsrat setzt die Stellenpläne der Jugendanwaltschaften fest und wählt die Jugendanwälte jeweils auf die Amtsdauer der Bezirksverwaltung.

§ 7. Für Jugendanwaltschaften mit mehreren Jugendanwälten ernennt der Regierungsrat aus deren Zahl einen Geschäftsleiter und einen Stellvertreter; für deren besondere Funktionen finden die entsprechenden Vorschriften der Verordnung über die Bezirksanwaltschaften sinngemässe Anwendung.

Bei den übrigen Jugendanwaltschaften obliegen dem Jugendanwalt die Aufgaben des Geschäftsleiters.

§ 8. Den vom Regierungsrat gewählten Jugendanwälten werden Amtsbefugnisse im ganzen Kantonsgebiet übertragen.

Der Einsatz der Jugendanwälte ausserhalb des ihnen zugeteilten Bezirks und die Regelung der Stellvertretungen und Pikettdienste erfolgt durch den Jugendstaatsanwalt.

§ 9. Die Jugendanwälte sind als Untersuchungs- und Vollzugsbeamte für eine ordnungsgemässe und beförderliche Durchführung und Erledigung der ihnen zugeteilten Untersuchungen sowie für den Vollzug der Urteile und Erziehungsverfügungen verantwortlich.

Sie haben dabei die allgemeinen oder im Einzelfall erteilten Weisungen der Aufsichtsbehörden und des Geschäftsleiters zu befolgen und, soweit dies ohne Beeinträchtigung des Untersuchungszweckes und der öffentlichen Sicherheit möglich ist, auch die erzieherischen und fürsorgerischen Interessen der Kinder und Jugendlichen wahrzunehmen.

2. Die Sozialarbeiter

§ 10. Der Regierungsrat ernennt für die einzelnen Jugendanwaltschaften Sozialarbeiter, denen insbesondere folgende Aufgaben übertragen werden können:

a) Abklärung der Erziehungs- und Lebensverhältnisse und Erarbeitung von Erziehungs- und Behandlungsvorschlägen im Untersuchungsverfahren;

b) Betreuung während des Untersuchungs- und Gerichtsverfahrens, vor allem bei Anordnungen gemäss § 380 StPO FN2;

c) Überwachung der Erziehung und besonderen Behandlung der Kinder und Jugendlichen;

d) Beschäftigung und erzieherische Betreuung der Verurteilten im Strafvollzug, im Rahmen der für die Institutionen des Strafvollzuges geltenden Bestimmungen und in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen dieser Institutionen;

e) Ausübung der Schutzaufsichten;

f) Beratung von Privatpersonen, die im Auftrag der Jugendanwaltschaft fürsorgerische Aufgaben übernehmen;

g) Abklärung der Möglichkeiten des Verurteilten und seiner Eltern, Ersatz der Kosten der Untersuchung und des Vollzuges zu leisten.

Vollzugsaufgaben, die das Gesetz nicht ausdrücklich dem Jugendanwalt zuweist, kann dieser einem Sozialarbeiter übertragen.

§ 11. Nach Möglichkeit erfolgt die Betreuung vom Beginn der Untersuchung bis zum Abschluss des Vollzugsverfahrens durch den gleichen Sozialarbeiter.

3. Auditoren und Praktikanten

§ 12. Als Auditor kann bei einer Jugendanwaltschaft zugelassen werden, wer die juristischen Studien abgeschlossen hat oder kurz vor deren Abschluss steht und sich zu einem Praktikum von mindestens drei Monaten verpflichtet.

Das Aufnahmegesuch ist mit einem Lebenslauf, allfälligen Studienausweisen und Zeugnissen über die bisherige Tätigkeit dem Jugendanwalt einzureichen. Der Jugendstaatsanwalt entscheidet auf Antrag des Jugendanwalts unter Mitteilung an die Direktion über die Zulassung.

§ 13. Der Jugendanwalt weist dem Auditor Arbeiten zu, welche der Untersuchungsbeamte nicht persönlich zu besorgen hat, und beaufsichtigt die Ausführung seiner Aufträge.

Der Auditor hat seine ganze Arbeitszeit der Jugendanwaltschaft zu widmen. Er ist wie ein Jugendanwalt zur Verschwiegenheit verpflichtet.

§ 14. Während der ersten drei Monate kann das Anstellungsverhältnis beidseitig auf das Ende der folgenden Woche, während der weiteren neun Monate auf das Ende des folgenden Monats und bei überjähriger Dauer auf das Ende des zweiten folgenden Monats aufgelöst werden.

Die sofortige Entlassung des Auditors durch den Jugendstaatsanwalt aus wichtigen Gründen, namentlich bei pflichtwidrigem Verhalten oder bei mangelnder Eignung, bleibt vorbehalten. Sie ist schriftlich zu begründen. Die Direktion ist über die Beendigung des Auditoriates zu orientieren. Beim Austritt ist dem Auditor eine Bescheinigung über die Dauer seiner Tätigkeit auszustellen. Sie hat sich auf seinen Wunsch über Leistungen und Verhalten auszusprechen.

§ 15. Die Direktion richtet Auditoren, deren Arbeit für die Jugendanwaltschaft eine wesentliche und notwendige Entlastung bedeutet, eine Entschädigung aus.

Die Entschädigung und die übrigen dienstrechtlichen Regelungen für Auditoren richten sich nach den einschlägigen Weisungen.

§ 16. Als Praktikanten können bei einer Jugendanwaltschaft Studierende einer Schule für Sozialarbeit, Fachschule oder Hochschule zugelassen werden, die sich im Rahmen ihrer Ausbildung zu einem mindestens dreimonatigen Praktikum verpflichten.

Für das Aufnahmegesuch, die Zulassung und eine allfällige Entlassung, die Pflicht zur Einhaltung der Arbeitszeit und zur Verschwiegenheit gelten die Bestimmungen für Auditoren.

§ 17. Der Jugendanwalt teilt den Praktikanten einem Sozialarbeiter zu. Der Sozialarbeiter weist dem Praktikanten Arbeiten zu, beaufsichtigt deren Ausführung und stellt ihm nach Beendigung des Praktikums das von der Ausbildungsstätte verlangte Zeugnis aus.

§ 18. Die Entschädigungen und besonderen dienstrechtlichen Regelungen der Praktikanten werden von der Direktion festgesetzt.

4. Die Kanzlei

§ 19. Der Jugendanwalt bzw. der Geschäftsleiter ist verantwortlich für die Besorgung der Kanzleigeschäfte der Jugendanwaltschaft. Die Kanzlei besorgt nach seinen Weisungen und unter seiner Aufsicht insbesondere:

a) das Führen der Register und Kontrollen;

b) den Versand der Vorladungen;

c) schriftliche Arbeiten;

d) die Sammlung, Ordnung, Führung und Archivierung der Akten;

e) das Kassawesen.

Die Direktion ist befugt, Ausführungsvorschriften zu erlassen.

IV. Organe der Jugendhilfe

§ 20. Organe der Jugendhilfe sind Behörden, Ämter und Dienststellen sowie Stiftungen und Vereinigungen und deren Sekretariate, die sich auf Grund öffentlich-rechtlicher Bestimmungen oder der Statuten erzieherischen und jugendfürsorgerischen Aufgaben und dem Schutz der Jugend vor ihr drohenden Gefahren widmen.

§ 21. Die Jugendanwaltschaften fördern in Zusammenarbeit mit den Bezirksjugendkommissionen und den Jugendsekretariaten die auf Bekämpfung der Kriminalität von Kindern und Jugendlichen gerichteten Bestrebungen.

Jugendstrafrechtliche Entscheide sind den Bezirksjugendkommissionen mitzuteilen.

§ 22. Der Jugendanwalt kann die Organe der öffentlichen und privaten Jugendhilfe und geeignete Privatpersonen bei der Abklärung der persönlichen Verhältnisse von Kindern und Jugendlichen sowie beim Vollzug der Strafen und Massnahmen beiziehen.

Er führt die Beauftragten in ihre Aufgaben ein und lässt sich von ihnen Bericht erstatten.

Kosten, die Privaten bei der Ausübung dieser Aufgaben erwachsen, können vergütet werden.

II. Teil: Verfahren

1. Verteidigung

§ 23. Der Jugendanwalt beantragt die Bestellung eines Verteidigers, wenn die Voraussetzungen von § 371 StPO FN2 erfüllt sind.

2. Übertretungen von Kindern

§ 24. Der Jugendstaatsanwalt bezeichnet jene Übertretungen im Strassenverkehr, bei denen der Jugendanwalt von Disziplinarstrafen absehen kann, sofern das Kind durch die Polizeibehörde belehrt und ermahnt worden ist.

§ 25. In den übrigen Fällen gibt der Jugendanwalt, falls er keine Einvernahme durchführt, dem Inhaber der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt vor dem Erlass einer Erziehungsverfügung den Inhalt der Verzeigung und die in Aussicht genommene Disziplinarstrafe bekannt.

Der Jugendanwalt kann, falls er dies als nötig erachtet, die Untersuchung im ordentlichen Verfahren durchführen. Er ist dazu auf Ersuchen des Inhabers der elterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt verpflichtet.

III. Teil: Vollzug

1. Verpflichtung zu einer Arbeitsleistung

§ 26. Der Staat regelt die Unfall- und Haftpflichtversicherung der zu einer Arbeitsleistung verpflichteten Kinder und Jugendlichen während ihres Einsatzes, sofern weder diese persönlich noch der Arbeitgeber genügend versichert sind.

§ 27. Ein allfälliger Arbeitserlös ist zur Deckung der Vollzugskosten, zum Ersatz des Schadens oder zugunsten gemeinnütziger Institutionen zu verwenden.

2. Einschliessung

§ 28. Der Jugendstaatsanwalt bezeichnet die für die Einschliessung Jugendlicher geeigneten Räume und Anstalten und erlässt die für den Vollzug in der Form der Halbgefangenschaft bei Jugendlichen notwendigen, zusätzlichen Weisungen.

3. Busse

§ 29. Die Jugendanwaltschaft überweist die vollstreckbare Erziehungsverfügung zum Bezug der Busse an die Gerichtskasse der ersten Instanz.

Für die Bewilligung, die Busse in Teilzahlungen zu entrichten oder durch freie Arbeit abzuverdienen, ist der Jugendanwalt, für die Umwandlung der Busse in Einschliessung die sich aus § 42 Abs. 1 StVG FN3 ergebende Behörde zuständig.

Der Vollzug der durch Umwandlung einer Busse angeordneten Einschliessung unterbleibt, wenn die Busse vor Antritt der Einschliessung bezahlt wird.

IV. Teil: Kosten

1. Verfahrenskosten

§ 30. Die Bemessung der Kosten und Gebühren erfolgt aufgrund von § 388 StPO FN2, der Verordnung über die Entschädigungen und die Kosten bei Strafuntersuchungen FN4 und der vom Regierungsrat festgesetzten Pauschalen.

Bei Anordnungen nach § 380 StPO FN2 werden Auslagen, die keine Vollzugskosten sind, insbesondere die Kosten der amtlichen Verteidigung und der Gutachten, als Untersuchungskosten behandelt.

Sieht der Jugendanwalt in einer Verfügung von der Auflage der ganzen oder eines Teils oder bestimmter Kosten vorläufig oder endgültig ab, so hat er dies zu begründen.

§ 31. Rechtskräftige Verfügungen der Jugendanwaltschaften und der Jugendstaatsanwaltschaft werden zum Bezug der Kosten und Ordnungsbussen an die Gerichtskasse der ersten Instanz überwiesen.

Eine dem Angeschuldigten nach § 43 Abs. 3 StPO FN2 zugesprochene Entschädigung ist bei der Jugendanwaltschaft zu beziehen.

2. Strafvollzugskosten (§ 44 StVG) FN3

§ 32. Die Kostenrechnungen für den Vollzug von Einschliessungsstrafen und von Arbeitsleistungen werden von der Jugendanwaltschaft geprüft und an die Gerichtskasse der ersten Instanz zur Zahlung überwiesen.

3. Massnahmenvollzugskosten (§ 45 StVG) FN3

§ 33. Als Massnahmen und Behandlungskosten während der Dauer von Untersuchungsanordnungen nach § 380 StPO FN2 und des Vollzugs der Massnahmen, einschliesslich der bedingten Entlassung aus diesen, gelten ausser dem Kostgeld in Beobachtungsstationen, Kliniken, geeigneten Familien, Heimen und Haftlokalen insbesondere die Kosten der Ausbildung, einer angemessenen Ausrüstung für den Ein- und Austritt, der notwendigen Therapien, Anschaffungen und Nebenauslagen sowie der ärztlichen und dringender zahnärztlicher Behandlung bei Versorgung, Erziehungshilfe und besonderer Behandlung.

4. Gemeinsame Bestimmungen

§ 34. Die Jugendanwaltschaft klärt die finanziellen Verhältnisse des Angeschuldigten oder Verurteilten und seiner Eltern ab, soweit sie massgebend sind für

a) Bemessung, Auflage und Bezug der Verfahrenskosten nach § 388 StPO FN2;

b) Bemessung der Busse;

c) den Antrag auf Ersatz der Strafvollzugskosten;

d) den Antrag auf Ersatzleistungen an die Massnahmenvollzugskosten.

Ferner klärt die Jugendanwaltschaft bei Anordnungen nach § 380 StPO FN2 und vor und während des Vollzugs von Massnahmen ab, ob Versicherungsleistungen, Schulbeiträge, Stipendien und weitere Beiträge, auf die der Verurteilte einen Rechtsanspruch hat, zur Kostendekkung verwendet werden können.

§ 35. Die Erziehungsdirektion erlässt Richtlinien über Bemessung, Auflage und Bezug der Ersatzleistungen des Verurteilten und seiner Eltern.

Sie verpflichtet diese auf Antrag der Jugendanwaltschaft ganz oder teilweise zum Ersatz der Strafvollzugskosten und zu angemessenen Ersatzleistungen an die Massnahmenvollzugskosten.

Gegen diese Verfügung ist der Rekurs an den Regierungsrat zulässig.

§ 36. Die Jugendstaatsanwaltschaft gibt der Jugendanwaltschaft bekannt, welcher Anteil der Massnahmenvollzugskosten auf Grund interkantonaler Vereinbarungen anderen Kantonen oder kraft eidgenössischen Rechts dem Bund verrechnet werden kann.

§ 37. Die Jugendanwaltschaften prüfen und begleichen die Vollzugsrechnungen und ziehen die Beiträge und Ersatzleistungen der übrigen Kostenträger ein.

V. Teil: Schlussbestimmung

§ 38. Diese Verordnung tritt nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt am 1. Januar 1977 in Kraft. Die Verordnung über das Jugendstrafverfahren vom 10. November 1960 wird auf den gleichen Zeitpunkt aufgehoben.

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FN1 OS 46, 425 und GS II, 665.
FN2 321.
FN3 331.
FN4 Heute 323.1.