Verordnung
über die Information über Gerichtsverfahren
und die Akteneinsicht bei Gerichten durch Dritte

(Akteneinsichtsverordnung der obersten Gerichte)
(vom 16. März 2001)

Der Plenarausschuss der Gerichte,

gestützt auf § 215 Abs. 2 Ziffer 3 GVG,

verordnet:

A. Allgemeines

§ 1. Diese Verordnung regelt die Akteneinsicht durch Dritte, die Überlassung von Akten und die Erteilung von Auskünften an Dritte mit Bezug auf Verfahren vor zürcherischen Zivil- und Strafgerichten sowie beim Verwaltungsgericht und beim Sozialversicherungsgericht.

Die Bestimmungen dieser Verordnung beziehen sich nicht auf die Akteneinsicht Dritter bei Verwaltungsbehörden, namentlich Strafuntersuchungsbehörden.

§ 2. Als Dritte gelten Personen, die am jeweiligen Verfahren nicht als Partei bzw. Partei- oder Behördenvertreter beteiligt sind, einschliesslich Medienschaffende, sowie mit der Sache nicht befasste Gerichte und Behörden.

§ 3. Akten sind schriftliche, elektronische und andere Aufzeichnungen, die in einem Verfahren vom Gericht entgegengenommen, beigezogen oder erstellt worden sind, sowie Objekte im Sinne von § 168 GVG.

§ 4. Als Verfahren mit öffentlicher Verhandlung gelten Verfahren, in denen gestützt auf Art. 6 Ziffer 1 EMRK, Art. 14 Ziffer 1 IPBPR, Art. 30 Abs. 3 Satz 1 BV oder kantonales Verfahrensrecht eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist und die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen wird.

Als Verfahren mit öffentlicher Urteilsverkündung gelten Verfahren, in denen der Entscheid nach Art. 6 Ziffer 1 EMRK, Art. 14 Ziffer 1 IPBPR, Art. 30 Abs. 3 Satz 1 BV oder kantonalem Verfahrensrecht öffentlich zu verkünden ist.

Als Entscheid gilt das Entscheiddispositiv, soweit es diese Verordnung nicht anders bestimmt.

§ 5. Ein Recht auf Akteneinsicht gemäss § 1 dieser Verordnung besteht nach Massgabe folgender Bestimmungen in Verfahren bzw. Verfahrensabschnitten, die unter Art. 6 Ziffer 1 EMRK, Art. 14 Ziffer 1 IPBPR oder Art. 30 Abs. 3 Satz 1 BV fallen, soweit nicht im Einklang mit diesen Bestimmungen die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen oder infolge Verzichts der Parteien keine öffentliche Verhandlung durchgeführt wird.

Aus besonderen Gründen kann auch in anderen Verfahren bzw. Verfahrensabschnitten Akteneinsicht gewährt werden.

Über die Bewilligung der Akteneinsicht und deren Umfang, insbesondere darüber, ob und inwieweit Entscheide mit Begründung und weitere Akten vor der Einsichtnahme bzw. Überlassung zu anonymisieren sind, wird unter Berücksichtigung des Anspruchs der Öffentlichkeit auf Information einerseits und der Rechte der Beteiligten sowie Dritter an der Geheimhaltung anderseits im Einzelfall entschieden.

§ 6. Über Gesuche betreffend Akteneinsicht entscheidet der Präsident bzw. die Präsidentin des jeweiligen Gerichts, soweit die einzelnen Gerichte für ihren Bereich nicht ausdrücklich abweichende Regelungen vorsehen.

§ 7. Für die Abgabe von Kopien an Dritte und für die Überlassung von Akten aus den Archiven kann eine dem Aufwand angemessene Gebühr erhoben werden.


B. Akteneinsicht durch Gerichte und Behörden

§ 8. Auf begründetes Gesuch hin werden inländischen Gerichten und Behörden Akten zwecks Einsichtnahme zur Verfügung gestellt, soweit eine gesetzliche Bestimmung dies vorsieht; ferner soweit ein sachliches Interesse an der Einsichtnahme glaubhaft gemacht wird und nicht überwiegende öffentliche Interessen oder eine drohende, schwer wiegende Verletzung der Persönlichkeit von Privatpersonen der Einsichtnahme entgegenstehen.

Die Amts- und Rechtshilfe im Verwaltungs- und Verwaltungsrechtspflegeverfahren richtet sich nach § 7 Abs. 3 VRG, die interkantonale Rechtshilfe in Strafsachen nach Art. 352 ff. StGB.

Die Mitteilung rechtskräftiger Entscheide in Strafsachen an Behörden des Bundes und des Kantons richtet sich nach den hierfür anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen.

§ 9. Gesuche ausländischer Gerichte und Behörden um Überlassung von Akten, Akteneinsicht oder die Erteilung von Auskünften betreffend gerichtliche Verfahren sind ohne Ausnahme gemäss den bundesrechtlichen Vorschriften beziehungsweise gemäss den Bestimmungen der anwendbaren Staatsverträge über die internationale Rechtshilfe zu behandeln und in dem hierfür vorgesehenen Verfahren zu erledigen.

Sofern gemäss den genannten Bestimmungen die Gewährung von Rechtshilfe für den betreffenden Fall nicht vorgesehen ist, ist jede Auskunft sowie Überlassung von Akten oder Akteneinsicht zu verweigern.


C. Information der Medien


a) Akkreditierung von Medienschaffenden

§ 10. Auf schriftliches Gesuch hin werden bei den zürcherischen Gerichten Medienschaffende als ständige Gerichtsberichterstatter zugelassen, sofern sie als zutrauenswürdig erscheinen. Dem Gesuch ist ein Auszug aus dem Zentralstrafregister, ein Handlungsfähigkeitszeugnis sowie eine Bestätigung des betreffenden Medienunternehmens beizulegen.

Das Gesuch ist entweder vom betreffenden Medienunternehmen oder von dem bzw. von der Medienschaffenden persönlich zu stellen. In diesem Fall ist anzugeben, für welche Medien die Berichterstattung erfolgen wird.

Für die generelle Zulassung ist die Verwaltungskommission des Obergerichts zuständig. Diese teilt die Zulassung allen in § 1 dieser Verordnung genannten Gerichten mit.

Die Zulassung durch die Verwaltungskommission des Obergerichts ist unbefristet. Änderungen des Arbeitgebers sowie Aufgabe der Gerichtsberichterstattung sind der Verwaltungskommission des Obergerichts zu melden.

In dringenden Fällen oder im Hinblick auf ein einzelnes Verfahren kann über die einstweilige oder vorübergehende Zulassung bei einem einzelnen Gericht dessen Präsident bzw. Präsidentin oder eine andere von diesen bezeichnete Person entscheiden.

§ 11. Mit der Zulassung hat der bzw. die Medienschaffende über die allgemeinen Rechte hinaus namentlich Anspruch auf die sich aus den §§ 14 bis 19 dieser Verordnung ergebenden Vergünstigungen.

Die Berichterstattung soll in sachlicher, angemessener Weise erfolgen und auf die schutzwürdigen Interessen der Prozessparteien gebührend Rücksicht nehmen. Insbesondere ist jede Art von Vorverurteilung, unnötiger Blossstellung oder suggestiver Berichterstattung zu vermeiden.

§ 12. Verstösse gegen die Pflichten als zugelassene Medienschaffende werden vom betreffenden Gericht dem Obergericht gemeldet.

Bei schwerer oder wiederholter schuldhafter Pflichtverletzung oder bei Missachtung der Berichtigungspflicht gemäss § 136 GVG kann die Zulassungsbehörde die folgenden Sanktionen ergreifen: (i) Verwarnung; (ii) Suspendierung für längstens drei Monate; (iii) Entzug der Zulassung.

Vor Erlass einer Sanktion ist der bzw. die Medienschaffende von der Zulassungsbehörde anzuhören.

Im Falle des Entzugs der Zulassung kann bestimmt werden, dass während eines Jahres, bei wiederholtem Entzug während bis zu drei Jahren, keine Zulassung mehr möglich ist.

§ 13. Gegen die Verweigerung der Zulassung, die Suspendierung sowie den Entzug der Zulassung kann innert 30 Tagen seit Eröffnung des Entscheids Beschwerde an das Gesamtobergericht, in Fällen von § 10 Abs. 5 dieser Verordnung an das betreffende Gesamtgericht, geführt werden.


b) Auskunfterteilung

§ 14. Jedes Gericht bestimmt einen Medienbeauftragten bzw. eine Medienbeauftragte, der bzw. die für den Kontakt mit den Medienschaffenden zuständig ist. Wird keine Person bestimmt, gilt der Generalsekretär oder die Generalsekretärin bzw. der Gerichtsschreiber oder die Gerichtsschreiberin als Medienbeauftragter bzw. Medienbeauftragte.

§ 15. Für Auskünfte über laufende Verfahren ist der bzw. die Medienbeauftragte zuständig, soweit die einzelnen Gerichte nicht ausdrücklich eine abweichende Regelung treffen.

In heiklen Fällen nimmt der bzw. die Medienbeauftragte mit dem Präsidenten bzw. der Präsidentin des Gerichts Rücksprache. Der Präsident bzw. die Präsidentin des Gerichts kann auch selbst den Medien Auskünfte erteilen.

Die Gerichtskanzlei erteilt Auskunft über Ort und Zeit öffentlicher Verhandlungen.

Gerichtsentscheide werden vom Gericht inhaltlich nicht kommentiert.


c) Akteneinsicht

§ 16. In Verfahren mit öffentlicher Verhandlung wird den zugelassenen Gerichtsberichterstattern bzw. Gerichtsberichterstatterinnen auf Anfrage gestattet, im Hinblick auf die Berichterstattung vor oder nach der Verhandlung Einsicht in die Akten zu nehmen nach Massgabe folgender Bestimmungen:

1. in Zivilsachen mit Zustimmung aller Parteien und nur, soweit dadurch keine Rechte oder überwiegenden Interessen Dritter verletzt werden. Die Zustimmung der Parteien ist vom Medienschaffenden beizubringen,

2. in Strafsachen in die Anklageschrift bzw. die Anklageschrift ersetzende Entscheide (Strafbefehl, Bussenverfügung) sowie in bereits ergangene Entscheide in der betreffenden Sache; in weitere Akten nur, soweit dadurch keine Rechte oder überwiegenden Interessen der Parteien oder Dritter verletzt werden,

3. in Verfahren vor dem Verwaltungs- und dem Sozialversicherungsgericht in die vorinstanzlichen Entscheide; in weitere Akten nur, soweit dadurch keine Rechte oder überwiegenden Interessen der Parteien oder Dritter verletzt werden.

Das Aktenstudium durch das Gericht und durch die Parteien und ihre Vertreter bzw. Vertreterinnen darf durch die Einsichtnahme der Medienschaffenden nicht beeinträchtigt werden.

§ 17. In Verfahren ohne öffentliche Verhandlung entscheidet das Gericht nach Massgabe von § 5 Abs. 3 dieser Verordnung darüber, ob und in welchem Umfang die Berichterstattung zugelassen wird.

§ 18. In Verfahren mit öffentlicher Urteilsverkündung, die in der Öffentlichkeit auf besonderes Interesse stossen, kann der Entscheid mit Begründung auf Anweisung des Präsidenten bzw. der Präsidentin des Gerichts ganz oder auszugsweise an die Medien, namentlich an die lokalen Tageszeitungen und Presseagenturen, bekannt gegeben werden. Der begründete Entscheid wird auf Anfrage den zugelassenen Gerichtsberichterstattern bzw. Gerichtsberichterstatterinnen persönlich ausgehändigt.

Der Entscheid über eine allfällige Anonymisierung (Eliminierung von Namen und/oder Teilen des Entscheides) richtet sich nach § 5 Abs. 3 dieser Verordnung.

§ 19. In Verfahren ohne öffentliche Urteilsverkündung, die in der Öffentlichkeit auf besonderes Interesse stossen, kann der Entscheid mit Begründung auf Anweisung des Präsidenten bzw. der Präsidentin des betreffenden Gerichts in einer mit dem Amtsgeheimnis vereinbaren Form den Medien bekannt gegeben werden. Dies gilt unter Wahrung der Interessen der Geschädigten auch für Verfahren, in denen die Öffentlichkeit gemäss Art. 5 Abs. 3 OHG ausgeschlossen wurde.


D. Publikation in Fachzeitschriften

§ 20. Über die Publikation von Gerichtsentscheiden in Fachzeitschriften entscheidet das betreffende Gericht. Auch diesbezüglich findet § 5 Abs. 3 dieser Verordnung Anwendung.

Die Gerichte regeln die interne Zuständigkeit.


E. Akteneinsicht durch Privatpersonen

§ 21. In Verfahren, in denen das Urteil unmittelbar nach einer öffentlichen Verhandlung mündlich eröffnet worden ist, sowie in Verfahren, in denen die Öffentlichkeit im Einklang mit Art. 6 Ziffer 1 EMRK, Art. 14 Ziffer IPBPR und Art. 30 Abs. 3 BV von der Verhandlung ausgeschlossen wird, wird Privatpersonen vorbehältlich § 22 keine Akteneinsicht gewährt.

In Verfahren, in welchen gemäss Art. 6 Ziffer 1 EMRK, Art. 14 Ziffer 1 IPBPR oder Art. 30 Abs. 3 Satz 1 BV die Öffentlichkeit der Urteilsverkündung gilt, jedoch keine mündliche Urteilsverkündung stattgefunden hat, können Privatpersonen innerhalb eines Monats ab letzter Zustellung bzw. Zustellungsfiktion auf der Gerichtskanzlei nach Voranmeldung Einsicht in den Entscheid nehmen.

Zu diesem Zweck führt jedes Gericht in geeigneter Form ein Verzeichnis der entsprechenden Geschäfte.

Der Entscheid über eine allfällige Anonymisierung richtet sich nach § 5 Abs. 3 dieser Verordnung.

§ 22. Im Übrigen wird Privatpersonen auf Gesuch Einsicht in Entscheide gewährt, soweit sie dafür ein wissenschaftliches oder sonst schutzwürdiges Interesse, insbesondere beruflicher Art, glaubhaft machen und soweit durch die Einsichtnahme keine Rechte oder überwiegenden Interessen der Parteien oder Dritter verletzt werden. Unter den gleichen Voraussetzungen wird ausnahmsweise Einsicht in weitere Akten gewährt.

Entscheide und allenfalls weitere Akten können in anonymisierter bzw. entsprechend angepasster Form zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt werden, wenn dadurch schutzwürdige Interessen der Parteien oder Dritter auf Geheimhaltung genügend geschützt werden können.

Auf Gesuch werden Privatpersonen zu wissenschaftlichen oder zu schutzwürdigen beruflichen Zwecken Kopien von Endentscheiden und ausnahmsweise von weiteren Akten, in der Regel in anonymisierter Form, abgegeben.


F. Archivierte Akten

§ 23. Die Überlassung von bei den Gerichten archivierten Akten oder von Teilen daraus an Drittpersonen bzw. die Bewilligung der Einsichtnahme in solche Akten und die Erteilung von Auskünften aus oder auf Grund solcher Akten an Dritte richtet sich ebenfalls nach den Bestimmungen dieser Verordnung. Spruchbücher gelten als Teil des Gerichtsarchivs.

Für die Modalitäten der Überlassung gelten die Bestimmungen der Archivverordnung der obersten Gerichte.

Über Einsichtsgesuche betreffend Gerichtsakten, die an das Staatsarchiv abgeliefert worden sind, entscheidet das Staatsarchiv.


G. Schlussbestimmung

§ 24. Diese Verordnung tritt am 1. Juli 2001 in Kraft. Sie ist in die Gesetzessammlung aufzunehmen. Die Verordnung des Obergerichts über die Akteneinsicht durch Gerichtsberichterstatter und andere Dritte vom 5. Dezember 1941 wird mit dem Inkrafttreten dieser Verordnung aufgehoben.

Im Namen des Plenarausschusses der Gerichte

Der Präsident: Der Sekretär:
Marco Jagmetti Paul Wegmann